Kurdistan Irak: Extreme Steigungen und Minengefahr - Pedal for Paws

Mobilität ist ein Grundbedürfnis, das durch Nationalität und Wohlstand entscheidend mitbestimmt wird. Das Fahrrad hat Mobilität demokratisiert und dennoch ist sie immer noch ein Privileg. Dass wir mit dem Fahrrad aus Berlin ans andere Ende der Welt fahren können und unser Leben unterwegs frei gestalten dürfen, hat wenig mit Können, Disziplin und harter Arbeit zu tun, sondern viel mit Privilegien und glücklichen Zufällen. Sie gibt uns eine Erfüllung, von der wir nicht dachten, dass wir sie fühlen könnten. Für den Tierschutz fahren wir, Xenia (33) und Joscha (32), seit August 2022 in Richtung Thailand um den Globus. Vor ca. 1,5 Jahren haben wir als blutige Anfänger den Bürostuhl in Berlin gegen den Fahrradsattel getauscht und sind fast 10.000 Kilometer von Berlin über Istanbul, Saudi Arabien und Iran bis in den Irak gefahren.

Das kurdische Gebiet im Irak ist eine der gebirgigsten Regionen, die wir bisher mit dem Rad bereist haben. Die Steigungen sind enorm, das Höhenprofil wie eine einzige Zickzackkurve und die Hitze herausfordernd. Das Radeln hier zeigt uns sowohl physisch als auch historisch Grenzen auf. Wir überqueren die Grenze zur autonomen irakischen Region Kurdistan auf der Straße 46 in Richtung Penjwin. Dabei durchfahren wir Gebiete, die teilweise noch aus dem iranisch-irakischen Krieg der 80er Jahre vermint sind. Bis zum heutigen Tag werden immer wieder Menschen durch diese Minen getötet oder schwer verletzt. Die Minensuchtrupps der nationalen “Mine Action Agency” sehen wir mit ihren Fahrzeugen an uns vorbeifahren, als wir einen kurzen Stopp einlegen. Schilder am Wegesrand zeigen, wo wir besser nicht zelten, und beim Mittagessen am Wegesrand liegt eine alte, verrostete Handgranate neben uns. Die Gefahr ist spürbar noch real, auch wenn sie leicht zu umgehen ist, wenn man auf den ausgeschilderten Straßen und Wegen im Grenzgebiet zum Iran bleibt. Wir hoffen, dass die Menschen vor Ort ihr Land bald wieder ohne Angst vor Minen erleben können, denn es ist voller ungeahnter Schönheit.

Mit unseren bepackten Fahrrädern quälen wir uns teilweise über steile Schotterwege, bis wir schließlich an manchen Stellen schieben müssen. Und jede weitere dunkelrot markierte Steigung in unserem Höhenprofil fordert uns heraus. Ungewöhnlich sind die vielen militärischen Checkpoints entlang der Strecke, aber die Atmosphäre ist völlig entspannt und wir fühlen uns nie unwohl - im Gegenteil.

Trotz der schwierigen Bedingungen zum Radfahren werden wir immer wieder mit phänomenalen und atemberaubenden Aussichten und Campingplätzen belohnt. Auch die herzlichen Begegnungen mit den Menschen regen uns immer wieder zum Lernen und Beobachten an. Ein Beispiel dafür ist eine Situation in der kurdischen Kulturhauptstadt Sulaimaniyya:

Als wir die Straße entlang schlendern, sehen wir einen Kurden und einen Araber in traditioneller Kleidung freundschaftlich nebeneinander auf einer Bank sitzen und gemeinsam Tee trinken.

Als wir fragen, ob wir sie fotografieren dürfen, nicken sie und bemerken lachend, dass auch Kurden und Araber zusammen sitzen. Was uns so besonders erscheint, hat mit der historischen Rivalität zwischen den beiden Volksgruppen im Irak zu tun.

Oberflächlich betrachtet würde man meinen, dass die Ähnlichkeiten zwischen Arabern und Kurden ein harmonischeres Verhältnis erwarten lassen. Beide sind ursprünglich Stammesangehörige und überwiegend sunnitische Muslime. Beide sind familienbasierte Kulturen. Die Bräuche sind ähnlich, und es gibt sogar viele Mischehen in den Städten.

Und auf unserem Weg durch den Norden Iraks erzählen uns auch viele Kurden, dass sie trotz der blutigen und diskriminierenden Vergangenheit nichts gegen Araber haben. Im Gegenteil, sie waren zB offen, sie in ihrer Nachbarschaft willkommen zu heißen, als der Islamische Staat sich bis an den kurdischen Grenzen ausbreitete und viele Menschen in die Flucht trieb.

Wie so oft haben die Feindseligkeiten auch hier vor allem mit einer dysfunktionalen und raubgierigen Führung, Propaganda sowie Einmischung und Manipulation von außen zu tun - sowohl auf arabischer als auch auf kurdischer Seite.

Aus zwischenmenschlicher Sicht haben beide Gemeinschaften sehr viel mehr gemeinsam als sie trennt. Und das wird besonders dann deutlich, wenn man sich eine Straße teilt, zusammen aufwächst oder Feste feiert. Man sieht dann einfach die Menschen vor sich und nicht die Politik. Warum sollten sie also nicht freundschaftlich Tee trinken und auf gemeinsamen Hochzeiten tanzen? Wieder haben wir etwas gelernt.

Nördlich der Hauptstadt Erbil radeln wir weiter in Richtung Dohuk, dem Norden Mesopotamiens. Die freundlichsten Menschen treffen wir schließlich an einem emotionalen Tiefpunkt unserer Reise. Wir haben gerade die 10.000 km Marke geknackt, aber die Stimmung ist aus verschiedenen Gründen am Boden.

Als wir vor dem Supermarkt auf dem Boden sitzen und ein paar Tränen vergießen, spricht uns ein junger Mann an. Ohne zu zögern bietet er uns an, mit ihm zu seiner Familie nebenan zu gehen. Dass es das Richtige ist, spüren wir sofort. Wir sind schon viel zu lange unter uns und haben es in den letzten Wochen versäumt, den Menschen näher zu kommen. Wir fühlen uns irgendwie leer und traurig. Doch sobald wir die Schwelle überschreiten, geht es uns spürbar besser. Eine Wärme erfüllt den Raum und lässt die Kälte in uns auftauen. Die Familie ist groß und viele Söhne sind in unserem Alter. Wir fühlen uns direkt mit ihnen verbunden, unbeschreiblich wohl und geborgen.

Aus einem Besuch zum Mittagessen werden vier Nächte, unzählige kulinarische Genüsse, ein Ausflug ins Grüne, ein Besuch in der Dorfschule, ein Treffen mit dem örtlichen Scheich und eine Geburtstagsfeier für Joscha in traditioneller kurdischer Tracht. Und wenn es nach der Familie gegangen wäre, hätten wir noch viel länger bleiben können. Der Abschied ist auf jeden Fall emotional. Wir wissen noch gar nicht, wie wir uns bedanken sollen. Die Familie Sharafani ist ein echtes Juwel und wir wollen sie unbedingt wiedersehen. Aber der Spätherbst ruft und wir machen uns auf den Weg in die Türkei.

 

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Wir freuen uns auf Dich.

 

Xenia & Joscha

 

Unsere Fahrräder: Böttcher Expedition, Rohloff Speedhub 500/14

 

Ein kleiner numerischer Überblick:
- 11.600km durch 17 Länder mit dem Fahrrad

- 1 Rohloff-Ölwechsel pro Rad

- 1 Ketten-und Reifenaustausch pro Rad

 

Weitere Informationen zu unserer Route und Ausrüstung findest du hier.