Vielfalt Iran Teil 2: Ein süß-bitterer Abschied und die Rückkehr zur Radreise-Liebe - Pedal for Paws

Für den Tierschutz fahren wir, Xenia (33) und Joscha (32), seit August 2022 mit dem Fahrrad um die Welt. Vor ca. 1,5 Jahren haben wir als blutige Anfänger den Bürostuhl in Berlin gegen den Fahrradsattel getauscht und sind über 8.000 Kilometer von Berlin über Istanbul und Dubai bis nach Isfahan im Iran gefahren. Im Iran haben wir neben einer intensiven Radtour durch das Zagros-Gebirge zum ersten Mal auch einige Ausflüge ohne unsere Räder unternommen, um die Vielfalt des Irans noch besser erleben zu können.

Das zweiwöchige Backpacking in Yazd und Teheran war eine schöne Abwechslung zum Radfahren und hat uns ermöglicht, in kürzerer Zeit noch mehr in kürzerer Zeit zu sehen. Aber die Wahrheit ist, dass uns diese Art des Reisens einfach nicht mehr erfüllt.

Autos, Busse, Züge und Flugzeuge sind uns einfach zu schnell und zu isoliert. Die Routen sind uns zu starr und die Erlebnisse irgendwie vorhersehbar. Als Backpacker schalten wir automatisch in den Sightseeing-Modus, denn nach einer langen Reise müssen wir am Zielort etwas Interessantes erleben. Früher waren Hostels unsere Quelle der Inspiration und Begegnung, aber hier treffen wir letztlich nur andere Suchende. Niemand, der uns das Land näher bringen kann. Früher war das eine Art zu reisen, die wir geliebt und geschätzt haben, aber die Zeiten haben sich geändert. Irgendwie haben wir als Backpacker schnell ein Gefühl der Leere, das wir mit Must-Sees und Must-Dos füllen wollen. Aber Erfüllung finden wir darin nicht mehr.

Am glücklichsten sind wir, wenn wir uns eine Route zusammenstellen und in unserem eigenen Tempo durch die Landschaft radeln, den Wind spüren und mit den Menschen am Wegesrand oder in den Dörfern ins Gespräch kommen. Das Leben spielt sich auf der Straße ab und wir fühlen uns frei. Wir sind jedem Wetter ausgesetzt und haben kaum Einfluss auf das, was unterwegs passiert. Wir wachen morgens auf und wissen nicht, wie der Abend enden wird. Jeder Tag auf dem Rad ist vorhersehbar - eine Wundertüte. Und es gibt keinen schöneren Moment, als abends, erschöpft von der Reise, einen Rückzugsort zu suchen, während die Sonne untergeht. Dann richten wir unser Zuhause auf Zeit ein, kochen uns eine leckere Kleinigkeit (auf so einer Reise schmeckt alles wie 5-Sterne-Küche) und lassen den Tag Revue passieren. Und schließlich fallen wir erschöpft und erfüllt zugleich in unsere Schlafsäcke. Kein Alltag macht mich glücklicher als dieser.

Diese Erfahrung und die damit verbundene Erkenntnis unserer Liebe zum Radfahren ist für uns sehr wichtig gewesen und hat uns umso mehr motiviert, von Isfahan aus unsere Reise mit unseren Lieblingen “Sokrates” und “Platon" fortzusetzen.

Die Route führt uns nordwestlich von Isfahan durch die gleichnamige Provinz und schlängelt sich zwischen den beiden Provinzen Markazi und Lorestan über Kermanshah bis nach Kurdistan. Im Nachhinein sind wir froh, diese Route gewählt zu haben, denn die im Westen Irans lebenden Kurden sind eine der vielen ethnischen Minderheiten, die den Iran so schön und vielfältig machen. Wir haben uns in ihrer Provinz wie zu Hause gefühlt. Alle haben sich liebevoll um uns gekümmert und uns einen ersten Einblick in das Leben und die Sichtweise der Kurden gegeben. Die Herzlichkeit der Menschen, das Essen, ihr kulturelles Erbe, sei es kulinarisch oder rituell. Schnell merken wir, dass wir mehr wollen.

So ändern wir unsere Route und beschließen, weiter in die kurdische Autonomieregion des Irak zu radeln. Kurz vor dem Grenzübertritt merken wir, dass die Situation im Land und vor allem hier im Vorfeld des Jahrestages der Proteste (September 2022) immer angespannter wird. Die Militärpräsenz wurde verstärkt und an einem Checkpoint werden wir mehrere Stunden von der Polizei verhört. Es gibt so viele Dinge, über die wir hier nicht schreiben wollen, um die Menschen, die uns ihre Geschichten und Meinungen anvertraut haben, nicht zu gefährden. Auch wenn die letzten Stunden in diesem Land bitter schmecken, erinnern wir uns lieber an die schönen Momente. Denn davon gab es so viele. Wir haben die letzten Wochen sehr genossen und einige Monate später hat uns der Iran trotz des Grenzübertritts nie wirklich verlassen.

Wir werden ihn immer in unserem Herzen tragen, zusammen mit all den wunderbaren Menschen, die wir dort kennenlernen durften. Aber wenn man dieses Land in sein Herz schließt, wird einem auch schwer ums Herz. Wir denken an die iranische Diaspora auf der ganzen Welt, die nicht so einfach in den Iran einreisen kann, wie wir es getan haben. Auch sie haben eine Sehnsucht, ob sie dort geboren sind oder nicht, die sie nicht erfüllen können. Das Risiko ist zu groß. Was würden sie tun, um ihre Verwandten wiederzusehen, das Essen zu probieren und all die schönen Orte wie Shiraz, Isfahan, Yazd oder Hormuz zu sehen? Mit gebrochenem Herzen müssen sie aus der Ferne zuschauen.

Und natürlich denken wir auch an die Menschen vor Ort. Es geht um so viel mehr als „nur“ um ein Stück Stoff. Es geht um das Recht auf Selbstbestimmung - nicht „nur“ für Frauen, sondern für alle Menschen. Es geht auch um Chancengleichheit und Meinungsfreiheit, um das Recht auf Bildung und Kunstausübung, um das Recht auf beruflichen und wirtschaftlichen Erfolg. Über allem aber steht das Recht, sich vor dem Gesetz immer und bedingungslos als vollwertiger und würdevoller Mensch zu fühlen. Dieses Recht haben weder Frauen noch ethnische oder religiöse Minderheiten. Unerträgliche Ungerechtigkeiten.

Auch wenn wir den Iran physisch verlassen haben, hat der Iran uns nicht.

 

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Wir freuen uns auf Dich.

 

Xenia & Joscha

 

 

Unsere Fahrräder: Böttcher Expedition, Rohloff Speedhub 500/14

 

Ein kleiner numerischer Überblick:
- 11.600km durch 17 Länder mit dem Fahrrad

- 1 Rohloff-Ölwechsel pro Rad

- 1 Ketten-und Reifenaustausch pro Rad

 

Weitere Informationen zu unserer Route und Ausrüstung findest du hier.