Vielfalt Iran Teil1: Von den Nomaden des Zagros-Gebirges in die Szenestadt Teheran - Pedal for Paws

Für den Tierschutz fahren wir, Xenia (32) und Joscha (32), seit August 2022 mit dem Fahrrad um die Welt. Vor ca. 1,5 Jahren haben wir als blutige Anfänger den Bürostuhl in Berlin gegen den Fahrradsattel getauscht und sind über 8.000 Kilometer von Berlin über Istanbul nach Dubai gefahren. Im Sommer haben wir die heiße und schwüle Zeit im Oman und den Vereinigten Arabischen Emiraten überstanden und machen uns auf den Weg in unser nächstes Kapitel. Der Iran.

Zu Beginn unserer Reise schien der Iran ein so fernes und fremdes Ziel zu sein, dass wir es lange Zeit nicht in Betracht gezogen hatten. Doch Freunde mit iranischen Wurzeln und viele positive Reiseberichte haben uns schließlich doch überzeugt.

Mit der Fähre fahren wir von Dubai nach Bandar Abbas, der südiranischen Hafenstadt an der Straße von Hormus.

Nach fünf Monaten auf der arabischen Halbinsel hätte der erste Eindruck im Iran nicht unterschiedlicher sein können. Die farbenfrohen Gewänder der Frauen in Bandar Abbas, das bunte Treiben auf den Basaren und das Gewusel der vielen Motorräder im Straßenverkehr faszinieren uns. Das Straßenbild gleicht eher einer Szene aus den 1990er Jahren mit rudimentär ausgestatteten Kastenwägen und außer dem alten Peugeot 206 kennen wir kaum eine der lokal produzierten Automarken.

Eine unerwartete Abwechslung bietet die vielfältige Küche. Die vielen neuen Gerüche und Geschmäcker verwöhnen unsere Sinne. Leicht säuerliche Noten durchziehen die Speisen, Weintrauben schmecken so gut wie lange nicht mehr und manche Zutaten gehen eine unerwartete, aber gelungene Symbiose ein - wie das köstliche Karottensaft-Softeis.

Vieles scheint ungewohnt, und doch vermittelt uns das Land schon jetzt ein Gefühl der Vertrautheit.

Bevor unsere Reise durch den Iran richtig losgeht, wollen wir uns die iranischen Inseln im Persischen Golf genauer ansehen. Trotz der unbarmherzigen Sommertemperaturen und der hohen Luftfeuchtigkeit freuen wir uns auf das Inselleben. Und so geht es nach zwei Tagen mit der Fähre von Bandar Abbas nach Qeshm, der größten Insel des Landes und Teil des UNESCO Weltkulturerbes. Die Insel ist bekannt für beeindruckende Felsformationen, Delfine, Schildkröten und üppige Mangrovenwälder. Wir sind überwältigt von den Naturwundern, die teils durch Erosion, teils durch Plattentektonik entstanden sind. Unser Herz haben wir jedoch an die zweite von uns besuchte Insel verloren - Hormus.

Sie wird auch Regenbogeninsel genannt und wir finden, dass diese Bezeichnung in vielerlei Hinsicht zutrifft. Zunächst einmal hat die Natur großzügig mit der Farbpalette gespielt. Wir haben noch nie eine so farbenfrohe und abwechslungsreiche Landschaft gesehen: Weiße Berge, goldene Felsen, safranfarbene Täler, leuchtend rote Strände, silberne Steine, bunt gestreifte Höhlen, glitzernde Wände. Und das alles auf einer Länge von rund 30 Kilometern. Es ist wie auf einem anderen Planeten.

Aber wie so oft sind es die Menschen, die es für uns zu einem ganz besonderen Erlebnis machen. Wir haben die Ehre, einen wirklich zauberhaften Abend voller Liebe und mit vielen Instrumenten zu erleben. Der kleine, gemütliche Raum füllt sich nach und nach mit jungen, unglaublich talentierten Musikern, die zusammen eine harmonische Symbiose bilden. Wir erleben eine iranische Jamsession unter Freunden und sind völlig verzaubert - von der Musik, dem Gesang und den wunderbaren Menschen. Wir wollen gar nicht mehr weg.

 

Um den schwülen Temperaturen zu entfliehen, fahren wir nach diesem magischen Erlebnis mit unseren Rädern per Bus nach Shiraz. Die Stadt am südlichen Ende des Zagros-Gebirges wird auch als “Garten des Iran” bezeichnet. Für Shiraz nehmen wir uns mehr Zeit als geplant. Und das ist auch so gewollt. Wir wollen langsam reisen. Gerade in unserer schnelllebigen Welt sind wir versucht, schnell von einem Highlight zum nächsten zu springen. Und die gemachten Fotos werden wichtiger als das Erlebnis selbst. Wir verlieren uns in der Sucht des Ankommens und Erreichens. Dagegen anzukämpfen, langsamer zu werden, still zu sein, einfach wahrzunehmen und den Wert des langsamen Lebens zu erkennen, ist alles andere als einfach. Und so verbringen wir in Shiraz viel Zeit mit einer sehr netten iranischen Familie, tauchen in ihren Alltag ein, nehmen an Familienfesten teil und trinken selbstgemachten Wein aus der Shiraz-Traube, die in dieser Gegend jahrhundertelang angebaut wurde, aber seit der islamischen Revolution verboten ist. Ein weiteres historisches Erlebnis ist der Besuch von Persepolis, der antiken Wunderstadt und ehemaligen Hauptstadt des Persischen Reiches, die 330 v. Chr. von Alexander dem Großen niedergebrannt wurde.

 

Nach den Ausflügen, ohne die Räder zu bewegen, geht es weiter durch das Zagros-Gebirge, das sich für uns als Höhepunkt der Radreise herausstellt. Nach einem Monat Pause ist der Start alles andere als leicht, aber wir lassen uns von der Route und den Tagesetappen treiben und verlieben uns wieder in die tägliche Rad- und Campingroutine. Nach einigen anstrengenden und steilen Bergetappen mit vielen Höhenmetern treffen wir Fahrradnomaden auf echte Nomaden. Die Qaschqai sind ein turksprachiges Volk und ein Stammesverband im Süden des Irans, die von der Teppichknüpfkunst und von Ackerbau, Viehzucht und Honigproduktion leben. Wir verbringen zwei Tage mit ihnen und tauchen in eine für uns fremde Welt ein. Das Nomadentum ist eine Lebensform, die von der unseren weit entfernt ist und doch etwas Anziehendes hat. So erinnern uns nomadische Gesellschaften wie die Qaschqai im Iran daran, dass der Mensch von Natur aus ein wanderndes Wesen ist. Hier vor Ort werden wir unweigerlich aufgefordert, über unsere moderne Lebensweise und unsere Werte nachzudenken. Sind lokale Bindungen mit einer Vielzahl von Besitztümern notwendig, um ein erfülltes Leben zu führen, oder ist die Freiheit der Bewegung und des Geistes ein höheres Gut? Inwieweit ist unsere moderne, sesshafte, von Konsum und Materialismus geprägte Lebensweise noch mit unserer menschlichen Natur vereinbar?


Mit neuen Fragen und Inspirationen im Gepäck ziehen wir weiter. Wir erleben die ganze Vielfalt des Zagros-Gebirges. Es geht vorbei an kilometerlangen Obstplantagen, an winkenden Nomaden, die gerade ihre Bienenstöcke inspizieren und an Inlandstouristen, die mit ihren Zelten am Flussufer einen Wochenendausflug machen. Neben der herrlichen Natur sind es wieder einmal die Menschen, die diese Zeit unvergesslich machen. Besonders im Iran fühlen wir uns den Menschen sehr verbunden, wenn wir in intensiven Gesprächen über ihre Träume, Ziele und Bedürfnisse sprechen. Die bezaubernde Golay ist ein gutes Beispiel dafür. Vor der Einfahrt in die Stadt Semiron lädt sie uns sehr freundlich und beharrlich zum Mittagessen ein. Wir wissen nicht genau, was es ist, aber bei Golays Familie fühlen wir uns von der ersten Minute an wie zu Hause. Irgendwie sind wir uns alle sofort vertraut und das gegenseitige Interesse ist aufrichtig. Wir haben gegessen, ein lokales Fußballspiel geschaut, einen Ausflug gemacht, einen vorgezogenen Geburtstag gefeiert, getanzt, wieder gegessen (im Iran wird generell viel gegessen), uns umarmt und uns über Google Translator mitgeteilt, wie sehr wir uns mögen. Wir haben uns wirklich innerhalb von 24 Stunden lieb gewonnen und der Abschied fiel uns dementsprechend schwer. Wir sind immer noch erstaunt, wie schnell so etwas zwischen Menschen passieren kann, obwohl wir uns nicht einmal in einer gemeinsamen Sprache verständigen können.

In Isfahan angekommen, erkunden wir die Stadt, die auch für ihren bezaubernden Teppichhandel und ihr Kunsthandwerk bekannt ist. Iraj, ein lokaler Teppichhändler, lädt uns sofort nach unserer Ankunft auf den Imam-Platz ein.

Bei einigen Gläsern Tee tauchen wir in seine Welt der persischen Teppiche ein und lernen die Kunst des Knüpfens näher kennen. Die Teppiche kommen aus verschiedenen Provinzen des Landes. Je nach Technik, Material und Muster kann man erkennen, ob die Teppiche aus Täbris, Belutschistan, Kurdistan, Isfahan, Qom, Kerman, Aserbaidschan oder von den Qaschqai-Nomaden stammen. Sie alle sind handgeknüpft und spiegeln die lange und reiche Geschichte des Iran und seiner Völker wider.

Da es unmöglich ist, die Vielfalt des Iran auf einer einzigen Radtour zu erkunden, beschlossen wir, unsere Räder für ein paar Tage stehenzulassen und mit dem Bus in die Wüstenstadt Yazd und später nach Teheran zu fahren.

In Yazd wollen wir unser Visum verlängern und uns eine ganz besondere Religion näher anschauen: Den Zoroastrismus, der oft als Vorläufer der drei großen monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam bezeichnet wird. Das Zentrum des zoroastrischen Glaubens liegt in Yazd. Für die Anhänger ist es unwichtig, welcher Religion jemand angehört. Sie messen einen Menschen nur daran, wie er denkt, spricht und handelt. Ihr Prophet Zarathustra hat sie gelehrt, niemanden nach seiner Religion zu fragen. Danach ging es nach Teheran, das sich als unsere Lieblingsstadt im Iran entpuppt.

Ein Ort, an dem alles möglich scheint. Ein Ort, an dem wir viele starke und mutige Frauen getroffen haben. Und wir sehen Kunst in allen Variationen, ob Keramik, Fotografie, Musik oder Tanz. Man muss nur die richtigen Leute treffen, und sie führen einen an magische Orte. Im Untergrund und hinter verschlossenen Türen, wo die Freiheit weiter blüht und gedeiht. Es gibt illegale Raves im Dschungel, Töpfereien hinter großen Toren und Bachata-Kurse in Kellern. Und in keiner anderen Stadt haben wir so viele Frauen ohne Kopftuch auf der Straße gesehen. In einigen Szenevierteln und Kulturcafés fühlen wir uns sogar wie in Friedrichshain, mitten in Berlin. Wir haben viele bewegende Gespräche geführt und die Enttäuschung über die ausbleibenden Veränderungen ist groß. Aber die Menschen sind nicht gebrochen. Sie sind stark und kreativ und finden Wege, das Leben zu leben, das sie erfüllt. So gut sie können. Aber viele junge Menschen sehen im Iran keine Zukunft für sich, weder menschlich noch wirtschaftlich. Sie lernen Englisch und andere Fremdsprachen und hoffen, in Europa oder Kanada studieren zu können. Sie wollen einfach raus aus diesem engen Korsett.

 

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Xenia & Joscha

 

 

Unsere Fahrräder: Böttcher Expedition, Rohloff Speedhub 500/14

 

Ein kleiner numerischer Überblick:
- 11.600km durch 17 Länder mit dem Fahrrad

- 1 Rohloff-Ölwechsel pro Rad

- 1 Ketten-und Reifenaustausch pro Rad

 

Weitere Informationen zu unserer Route und Ausrüstung findest du hier.