Usbekistan. Entlang der Seidenstraße - Pedal for Paws
Wir sind Xenia (33) und Joscha (32) und seit über zwei Jahren mit dem Fahrrad auf Weltreise. Für den Tierschutz sind wir seit August 2022 über Umwege unterwegs nach Thailand. Dafür haben wir als blutige Anfänger den Bürostuhl in Berlin gegen den Fahrradsattel getauscht und über 15.000 Kilometer von Berlin über Istanbul, Saudi Arabien, Iran, Irak, Türkei, Georgien, Russland und Kasachstan zurückgelegt. Ende Juni 2024 überqueren wir mitten in der Steppe die Grenze zu Usbekistan.
Im falschen Monat in Usbekistan?
"Ihr seid im falschen Monat hier”, wir können gar nicht zählen, wie oft wir diesen Satz auf unserem Weg schon gehört haben. Irgendwie schaffen wir es immer wieder, zur vermeintlich falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Wir radeln im Sommer durch Wüsten und im Winter durch Gebirge. Im Oman war es im Juni so heiß und feucht, dass wir nachts um 3 Uhr aufbrechen mussten und regelmäßig auf Unterkünfte mit Klimaanlage angewiesen waren. In den Bergen der Türkei haben wir gelernt, durch Schneestürme und bei Minusgraden zu radeln. Aber ehrlich gesagt finden wir das gar nicht so schlimm. Denn wenn wir zur sogenannten “falschen Zeit” da sind, heißt das ja auch, dass gerade Nebensaison ist. In Bulgarien hatten wir gefühlt die ganze Schwarzmeerküste für uns. Da dort im November niemand Urlaub machen will, durften wir kostenlos im Hotel (inklusive Strandzugang) unserer Freundin schlafen - so lange wir wollten. Entspannt war es auch am Toten Meer in Jordanien und selbst in der antiken Stadt Petra konnten wir dank des reduzierten Wintertourismus die Stätte für eine kurze Zeit in Ruhe betrachten. Angenehm einsam fühlten wir uns auf der berühmten iranischen Regenbogeninsel Hormuz. Während im Winter das ganze Land dort Urlaub machen will, trauen sich im Sommer nur ein paar verrückte Radreisende in die 100% feuchte Hitze. So konnten wir den Zauber dieses unglaublichen Naturwunders ganz für uns allein entdecken. Nebensaison bedeutet auch, dass unser Geldbeutel weniger belastet wird.
Klimatisch ist es natürlich eine Herausforderung, wie im Winter in der Türkei oder in der brütenden Hitze an der omanischen Küste, aber es hat auch seinen Reiz, sich diesen extremen Wetterbedingungen zu stellen. Hier im Sommer in Usbekistan kämpfen wir wieder regelmäßig mit 38-40°C.
Aber eigentlich sind wir noch gar nicht in Usbekistan. Für die ersten 450 km befinden wir uns in der autonomen Republik Karakalpakstan.
Willkommen in Karakalpakstan
Karakalpakstan liegt sich im Westen Usbekistans und macht fast 40 Prozent des Landes aus. Wieder fahren wir durch ein Land im Land mit eigener Geschichte, Kultur, Flagge und Sprache. Die Karakalpaken sind ein Turkvolk in Zentralasien, welches einst nomadisch lebte. Zu Zeiten der Sowjetunion war Karakalpakstan sogar die einzige autonome Republik in Zentralasien.
Doch die Autonomie der Karakalpaken ist eher Fassade. Unfruchtbares Land und begrenzte wirtschaftliche Möglichkeiten verhindern eine wirkliche Unabhängigkeit. Haupteinnahmequellen sind die Melonen-, Reis- und Baumwollernten, wobei vor allem die Baumwollproduktion einen hohen Bewässerungsbedarf erfordert und damit für die Austrocknung des Aralsees mitverantwortlich ist. Eine Umweltkatastrophe, die heute zu einer beliebten Touristenattraktion geworden ist.
In der Hauptstadt Nukus fühlen wir uns wohl. Wir schlendern ziellos durch die Straßen und über die Märkte und genießen die angenehme Freundlichkeit und Neugier der Einheimischen. Es gibt Orte, an denen man wirklich gerne ins Gespräch kommt. Dies ist einer davon. Wir genießen den Austausch mit der karakalpakischen Jugend. Sie sind sehr interessiert und mutig, ohne aufdringlich zu sein. Sie sind höflich und bemühen sich, ihre Gedanken in einer fremden Sprache auf den Punkt zu bringen. Und sie stellen interessante Fragen.
Wir fragen uns, warum das Verhalten der Kinder aus den postsowjetischen Ländern so angenehm und respektvoll ist. Weil wir aus den Ländern, durch die wir vorher gefahren sind, ein ganz anderes Verhalten gewohnt waren. Aufgrund einiger unschöner Erlebnisse versetzen uns Kinder und Jugendliche beim Radfahren eigentlich schnell in Alarmbereitschaft. Ich denke, andere Radreisende wissen vielleicht, wovon wir sprechen.
Das Erbe der Sowjetunion
Als wir über den Markt von Nukus schlendern, fällt uns eines sofort auf: Der Markt gehört den Frauen. Überhaupt fällt uns auf, wenn wir durch die postsowjetischen Länder radeln, dass Frauen hier im öffentlichen Leben viel präsenter sind als in den muslimischen Ländern, durch die wir im letzten Jahr gereist sind. Sie verkaufen, sie verhandeln, sie führen. Für uns ist das sehr erfrischend, weil wir dadurch mit viel mehr Frauen ins Gespräch kommen als früher.
Und der Grund dafür liegt auf der Hand. Es ist das Erbe der Sowjetzeit, in der Frauen das gleiche Recht auf Bildung und Beruf haben sollten wie Männer. Nein, es wurde sogar von den Frauen erwartet. Und durch politische Maßnahmen wurde die Vollbeschäftigung von Frauen nach dem Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gefördert. Xenias Großmutter mütterlicherseits und ihre Mama haben es ihr vorgelebt. Beide Frauen haben in der Sowjetunion studiert und als Ingenieurinnen gearbeitet. Der Doppelbelastung der Mütter (schließlich wurde von ihnen in der Familie immer noch erwartet, dass sie den Haushalt schmeißen) versuchte man mit kostenlosen Kindergärten zu begegnen. Das System war nicht perfekt, aber ein großer Schritt aus der Abhängigkeit vom Mann. Das war tatsächlich eine der guten Seiten des Kommunismus.
Doch wie es heute in diesen Ländern ist, weiß ich nicht. Ich habe das Gefühl, dass in Zentralasien seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Wirtschaft viel Wert auf die Rückbesinnung auf Traditionen gelegt wird. Das muss nicht per se schlecht sein, aber wenn man die Vergangenheit unreflektiert idealisiert, kann das auch einen Rückschritt bedeuten, zum Beispiel indem man sich auf patriarchale Strukturen rückbesinnt.
Wie es auch ist. Die Vibes auf dem Markt mit all diesen tollen Frauen gefallen uns.
Ein Tag in Usbekistan
Wenn wir morgens um 5.30 Uhr schon wüssten, wie der Tag endet, wäre das langweilig. Aber es wäre auch anstrengend. In Usbekistan ist es mittags wieder so heiß, dass wir den Tag in zwei Teile aufteilen. Am Vormittag fahren wir etwa 60 Kilometer. Gegen 12 Uhr suchen wir uns ein schattiges Plätzchen oder vielleicht sogar einen Imbiss, um uns vor der hohen Sonne zu schützen. Gegen 17 Uhr fahren wir dann die zweite Hälfte des Tages.
An einem normalen Tag nahm das Ganze eine etwas andere Wendung, als wir es für eine gute Idee hielten, uns am Straßenrand eine Wassermelone zum Mittagessen zu gönnen. Wenige Minuten später saßen wir in einem Wohnzimmer und Joscha musste auf das neue Auto anstoßen - auf Russisch. Das war nämlich der Grund für die kleine Feier hier. Wenn man ein neues Auto kauft, muss man es "waschen”. Das heißt, man trinkt, spricht wohlwollende Trinksprüche und das soll dem Besitzer Glück bringen.
Eigentlich sitzen bei solchen Feiern die Männer getrennt von ihren Frauen, aber wir haben gefragt, ob wir nicht zusammen sitzen dürfen. Kein Problem. Xu darf sich zu den Männern gesellen und kurze Zeit später kommen auch die Frauen dazu. Die Stimmung ist fantastisch. Wir haben keine Ahnung, wie viel wir getrunken haben. Wir können nicht einmal abschätzen, wie viel Wodka in den Schälchen ist. Auf jeden Fall waren es sehr viele Trinksprüche. Auf die usbekische Gastfreundschaft!
Nach so vielen Tagen und noch mehr Kilometern sind wir froh, hier auf dem usbekischen Teil der Seidenstraße angekommen zu sein. Wir hatten keine Erwartungen an Chiwa. Bis vor wenigen Wochen kannten wir diesen Ort nicht einmal. Dabei soll es die älteste Stadt Zentralasiens sein. Für uns ist es wie die erste Oase nach langer Zeit in der Wüste. Hier machen wir Pause. Hier lassen wir uns fallen. Es fühlt sich einfach richtig an.
Khiva
Die Stadt Khiva hat es uns sofort angetan. Für uns ist es eine der schönsten Städte, die wir auf dieser Reise besucht haben. Es gefällt uns hier so gut, dass wir kurzerhand beschlossen haben, unsere weiteren Pläne für Usbekistan anzupassen und mehr Tage hier zu verbringen. Khiva ist nicht nur die älteste Stadt Zentralasiens, sondern auch die kleinste Stadt an der usbekischen Seidenstraße. Sie hat also viel zu bieten, ohne zu überfordern. In der Nebensaison ist auch die Anzahl der Tourist:innen überschaubar. Nach 1500 km Steppe und Wüste kommen hier Urlaubsgefühle auf.
Was uns in stark touristisch geprägten Städten oft nicht gefällt, ist, dass wir oft das Gefühl haben, dass die Atmosphäre sehr aufgesetzt wirkt und alles nur noch auf die Bedürfnisse der Tourist:innen ausgerichtet ist. Ständig will dir jemand Touren anbieten oder Souvenirs verkaufen. Das Essen ist oft mittelmäßig, die Preise dafür sehr hoch. Und das authentische Leben der Einheimischen wurde völlig verdrängt, um Platz für teure Hotels, Restaurants und Luxusboutiquen zu schaffen.
Nicht so in Khiva. Das erste, was uns auffällt, als wir die von der alten Stadtmauer umgebene Altstadt betreten, ist, dass wir mehr Locals als Tourist:innen begegnen (kein Wunder, denn es ist Nebensaison). Sie leben nicht nur in diesem schönen und herausgeputzten Stadtkern, sie betreiben auch die familiengeführten Hotels, Geschäfte und Restaurants.
Hier verschmelzen Tourismus und einheimisches Leben zu einer perfekten Symbiose. Kinder spielen auf der Straße, Erwachsene sitzen daneben und unterhalten sich mit uns. Wir wundern uns, dass sie trotz der vielen internationalen Besucher im Jahr noch so interessiert und freundlich zu uns sind. Es ist klein, gemütlich, ruhig, schön und lecker - ganz nach unserem Geschmack.
Schlemmerland Usbekistan
In Usbekistan kommen wir unverhofft auf den Geschmack - nach so vielen Wochen Steppe und Wüste fühlen wir uns hier wie in einer Oase, die unseren Gaumen verwöhnt. In allen Unterkünften in Usbekistan wird uns ein kostenloses Frühstück serviert, das überall und jeden Tag ein bisschen anders aussieht und uns manchmal bis 16 Uhr satt macht. Immer dabei ist ein Teller mit frisch aufgeschnittener Wassermelone und Tomaten-Gurken-Salat - mein persönlicher Held. Ich weiß nicht, was es ist, aber in Usbekistan habe ich mich neu in diese einfache Kombination verliebt. Die Tomaten schmecken so ungewöhnlich gut und die Zugabe von Petersilie und Dill gibt mir jedes Mal diesen Kick. Wir essen es jeden Tag und es wird nie langweilig.
Und so viele einheimische, frisch gepflückte Melonen, Trauben und Pfirsiche haben wir seit dem Iran nicht mehr gegessen. An jeder Ecke stehen Lastwagen mit den runden, süßen Früchten. Was für eine geniale Idee der Natur, uns in der heißesten Zeit des Jahres mit solch köstlichen Erfrischungen zu versorgen. Denn wenn die Temperaturen auf 35 bis 40 Grad steigen, vergeht mir automatisch der Appetit. Mehr als Obst und diesen Salat bekomme ich unterwegs auf dem Rad einfach nicht runter.
Wenn wir in den größeren Städten ein paar Tage Pause machen, suchen wir uns gerne ein gutes Restaurant aus, denn die Preise in Usbekistan sind wirklich moderat. Das erste, was wir bestellen, ist immer eine Kanne Tee. Eigentlich sind wir ja eher Kaffeeliebhaber, aber in Usbekistan gibt es diese unglaublich leckeren Früchtetees mit frischen Früchten, Minze und Gewürzen, serviert in durchsichtigen Teekannen. Wir bestellen nie ohne eine dieser Kannen. Und die Küche Usbekistans kann noch viel mehr als Plov, Lagman und Schaschlik. Die Salate (auch so ein Menüpunkt, den wir sonst gerne überspringen) sind der absolute Hit. Die Usbekistanerinnen verstehen was von kreativen Saucen und leckeren Kombinationen. Unser absoluter Favorit, den wir überall bestellen: Salat mit frittierten Auberginenwürfeln. Lecker!
Der besondere Flair usbekischer Städte
Eigentlich halten wir uns unterwegs am liebsten überall auf, nur nicht in den Städten. Aber in Usbekistan ist es genau umgekehrt. Richtig interessant wird es erst, wenn man in diese alten Städte der Seidenstraße hineinfährt. Selten hat man so viel Schönheit auf einen Blick serviert bekommen. Es ist fast unverschämt, wie fotogen dieses Land ist, vor allem in der “Golden Hour”, kurz bevor die Sonne untergeht. Dazu kommt die tolle Atmosphäre, die die Menschen hier schaffen.
Die Anzahl der Tourist:innen ist in der Nebensaison überschaubar. Das hat nicht nur den Vorteil, dass wir immer wieder spontan sehr günstige Unterkünfte finden. Wir haben auch das Gefühl, dass die Einheimischen viel mehr Zeit und Ruhe haben, sich mit uns auszutauschen. Obwohl sie alle daran gewöhnt sein sollten, dass Reisende durch ihr Viertel schlendern, sind sie so offen und freundlich, dass wir hier und da ein kleines Schwätzchen halten können. Diese Erfahrungen haben wir entlang der über 1300 Kilometern in Khiva, Buchara und Samarkand gemacht.
Es ist, als würden wir uns in Usbekistan noch einmal erholen, bevor es in den Pamir nach Tadschikistan geht.
Die Pause vor dem Pamirgebirge
Wenn wir den Monat in Usbekistan mit einem Wort zusammenfassen müssten, dann wäre es „Leichtigkeit“. Es war irgendwie die perfekte Mischung für uns. In keinem Monat zuvor sind wir so entspannt, so viele Kilometer in einem Monat geradelt und haben uns gleichzeitig so viel Zeit für die Kultur und die unglaublich freundlichen Menschen genommen. Überhaupt haben wir uns noch nie so gerne in Städten aufgehalten wie hier. Und ich kann mich nicht daran erinnern, wann wir uns das letzte Mal so gutes Essen gegönnt haben. Wir haben jeden Bissen und jeden Schluck so genossen, als wäre es der letzte. Denn wir wissen genau, dass dieses usbekische Lotterleben ab Tadschikistan wieder vorbei sein wird. Vielleicht schmeckte es uns deshalb besonders gut. Danke Usbekistan. Du warst eine Wohltat für unsere Seele.
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Wir freuen uns auf Dich.
Xenia & Joscha
Unsere Fahrräder: Böttcher Expedition, Rohloff Speedhub 500/14
Ein kleiner numerischer Überblick:
- 15.300 km durch 20 Länder mit dem Fahrrad
- 2 Rohloff-Ölwechsel pro Rad
- 2 Ketten-und Reifenwechsel pro Rad
Weitere Informationen zu unserer Route und Ausrüstung findest du hier.