Heiratsantrag vor türkischem Bergpanorama und der Abstieg vom Sattel - Pedal for Paws
Wir sind Xenia (33) und Joscha (32) und seit fast zwei Jahren mit dem Fahrrad auf Weltreise. Für den Tierschutz sind wir seit August 2022 in Richtung Thailand unterwegs und haben dafür als blutige Anfänger den Bürostuhl in Berlin gegen den Fahrradsattel getauscht und fast 12.000 Kilometer von Berlin über Istanbul, Saudi Arabien, Iran, Irak und in die Türkei zurückgelegt. Nachdem wir nach einem heftigen Schneesturm die ostanatolischen Berge hinter uns gelassen haben, stellt uns die Strecke vor eine weitere große Herausforderung. Unzählige Tunnel warteten auf uns. Mit dem Fahrrad durch einen Tunnel zu fahren, hielten wir immer für unseren Endgegner, und das zu Recht. Wir sind sogar Umwege gefahren oder sind ein Stück getrampt, um die gefährlichen Durchfahrten zu vermeiden. Das Schlimmste ist der hallende Lärm der vorbeifahrenden Autos und Lkws. Es hört sich immer so an, als komme ein Monster auf uns zu. Aber hier in der Türkei hatten wir keine Wahl. Wir mussten uns einer großen Angst stellen und an einem Tag durch mehr als 50 Tunnel fahren. Ja, das war schrecklich. Wir haben viel geschwitzt und geflucht. Aber nach jedem Tunnel fühlten wir uns wie neugeboren, denn die Aussicht auf die Berge um uns herum war überwältigend. Auch wenn diese Schönheit leider ein Stausee war, lenkte sie uns von der Angst ab, bevor es wieder in den Schlund des Todes ging. Nach dieser intensiven Konfrontationstherapie sind wir zwar immer noch keine Fans von Tunneln, aber unsere Angst hält sich jetzt in Grenzen.Einen Tag vor dieser Herausforderung haben wir zwischen Tunnel 6 und 7 eine Pause eingelegt und unser Lager aufgeschlagen. Auf einem höher gelegenen, ebenen Zeltplatz hatten wir einen malerischen Blick auf einen Stausee und ein dahinter liegendes Bergpanorama. Es war der richtige Ort für einen besonderen Moment, den wir aus zwei verschiedenen Perspektiven erzählen können:
Joscha: “Ich will die Liebe und Zuneigung zu dieser Frau in einer einfachen, alltäglichen und doch besonderen Situation zeigen. Ich mache mir bereits Notizen, was ich sagen will, aber ich habe keine Ahnung, wann der richtige Zeitpunkt kommen würde. Und als wir eines Abends unerwartet auf einem Panoramazeltplatz unser Lager aufschlagen, weiß ich: Das ist der Moment. Mit der inneren Entscheidung kam die Aufregung. Und in der untergehenden Sonne, während sie die Instantnudeln zubereitete, machte ich ihr mit einem selbstgemachten Ring einen Antrag. Und sie hat Ja gesagt.“
Xenia: „Das Letzte, was ich am Ende dieses verrückten Jahres erwartet hatte, war ein Antrag. Damit habe ich eigentlich nie gerechnet. Es war uns einfach nicht wichtig. Als ich gerade das Wasser für die Instantnudeln koche, setzt sich Joscha mir gegenüber und sagt einfach so die schönsten Worte, während ich überlege, ob es unhöflich wäre, die Nudeln ins kochende Wasser zu werfen. Und dann kommt DIE Frage und ich rufe nur "Waaaaaas?". Ich konnte es nicht fassen. Wir haben gelacht wie Kinder und ich habe 1000 Fragen. Und doch fühlt sich in diesem Moment alles so richtig an: das Spontane, das Simple, der Humor, draußen in der Natur, der selbstgebastelte Ring, auf dem Boden neben unserem Zelt und ganz allein in dieser traumhaften Umgebung. Es ist nicht inszeniert, nicht kitschig, nicht teuer und nicht aufgesetzt. Es gibt auch keinen Kniefall. Wir sind einfach wir selbst.”
Mit viel Liebe im Herzen fahren wir an die türkische Schwarzmeerküste und überqueren die Grenze nach Georgien.
Eigentlich hat sich seit dem Heiratsantrag nichts verändert und doch fühlen wir uns mehr verbunden. Wir haben das Gefühl, dass nicht nur diese Reise, sondern auch dieser Schritt uns einander näher gebracht hat. Wir sind nun über 6 Jahre zusammen. 25 % dieser Zeit haben wir auf dieser Reise verbracht. Ja, wir waren in den letzten 1,5 Jahren 24/7 zusammen. Und ja, wir streiten uns unterwegs sicherlich mehr als vor der Reise. Aber wir vertragen uns auch schneller, reden generell mehr miteinander und lernen uns dadurch immer besser kennen. Jeden Tag müssen wir neue Herausforderungen meistern und zahlreiche Entscheidungen treffen. Wir stoßen ständig an unsere körperlichen und mentalen Grenzen, und wenn einige Grundbedürfnisse aufgrund von Hunger, Kälte oder Müdigkeit nicht erfüllt werden, kann es auch mal knallen. Doch wir kennen uns mittlerweile unter diesen außergewöhnlichen Bedingungen und verzeihen sofort. Ansonsten nehmen wir uns am Abend Zeit, um uns in Ruhe auszusprechen und eventuell Feedback zu geben. Außerdem nennen wir jeden Abend auch zwei Dinge, die die andere Person gut gemacht hat. Kommunikation ist einfach die Basis. Und unser Team muss funktionieren. Am Ende des Tages wissen wir ja, wofür wir das machen. Unsere Motivationen überschneiden sich stark, und das hilft uns letztlich, in Krisensituationen unser Ego zurückzustellen.
Der Abstieg vom Sattel?
Zum Jahresende 2023 stellen wir fest, dass wir dieses Mal vielleicht mehr als ein oder zwei Wochen brauchen, um uns zu sortieren und die Dinge zu verarbeiten. Unsere Aufnahmekapazität ist so langsam erschöpft und die Wertschätzung sowie Energie für Neues lässt nach. Es ist in den letzten Monaten einfach viel zu viel passiert - von den heißen Wüsten der arabischen Halbinsel bis über die Gebirgswelt des Iran und Iraks und schließlich durch die schneereiche Landschaft Türkeis. So viele Kulturen, Begegnungen, Gespräche, Learnings, Perspektiven und klimatische Bedingungen.
Dieses Jahr fühlt sich an wie ein halbes Leben. Ein wenig Stillstand und Abstand zu der Reise würde uns gut tun. Der Mensch ist nicht dazu gemacht, langfristig jeden Tag so viel Neues zu sehen, zu erleben und zu begreifen. Und das merken wir immer mehr.
Und so beschließen wir im Dezember eine längere Winterpause einzulegen. Bei der Route, die wir vor uns haben würden, ergab es aufgrund der schwierigen winterlichen Bedingungen erst einmal keinen Sinn, weiterzureisen. Über einige Ecken lernen wir eine freundliche georgische Dame kennen, die uns anbot, unsere Fahrräder bei ihr in einem Dorf in Westgeorgien abzustellen. Sie selbst hat vor, über den Winter ihre Tochter in Moskau zu besuchen. Und auch wir haben unsere Familie so kurz vor Weihnachten sehr vermisst. Wenn man sich für ein Leben unterwegs entscheidet, muss man Kompromisse eingehen. Dem sind wir uns bewusst. Aber wir hatten nie vor, so lange mit dem Fahrrad nach Thailand zu fahren. Es hat sich einfach so ergeben. Für uns ist klar, dass wir diesen außergewöhnlichen Weg nur weitergehen können, wenn wir zu Hause nicht alles verpassen. Die Menschen in unserem Leben sind uns unglaublich wichtig und wir wissen nie, wieviel Zeit wir noch zusammen haben. Also beschließen wir, unser Handgepäck zu packen und unsere Familie zu überraschen.
Pedal for Paws im Fernsehen und auf Kurzreise in die Ukraine
Unsere Auszeit in Deutschland hat 1000 schöne Momente, mit denen wir nicht gerechnet haben. Zum einen können wir viel Zeit mit unseren Familien verbringen und besonders der 96. Geburtstag von Joschas Oma und der 2. Geburtstag von Xenias Nichte sind tolle und verbindende Erlebnisse. Wir lassen dem Körper Raum und der Seele freien Lauf. Xenia widmet sich ihrer Ahnenforschung, wir duellieren uns unzählige Male beim Spiel Siedler von Catan und genossen den Luxus eines festen Wohnsitzes.
Ein Highlight unserer Winterpause ist es, weitere tolle Menschen vom Verein Notpfote Animal Rescue e.V. kennen zu lernen und mit ihnen für ein paar Tage an ihrer Vision zu arbeiten: ein wunderschönes Tierheim an der ungarisch-ukrainischen Grenze zu bauen. Die Zeit in der Ukraine mit diesen wunderbaren Menschen zu verbringen, hat uns nicht nur persönlich bereichert, sondern auch in unserem Ziel bestärkt. Im WDR dürfen wir kurz darauf in der Sendung “Tiere suchen ein Zuhause” auftreten und von unserer Reise und unserer Mission berichten. Die Winterpause ist also auch eine aufregende Zeit gewesen.
Unser Projekt „Pedal for Paws“ braucht einen langen Atem und manchmal zweifeln wir an uns und unserem Vorhaben, aber wir wissen, dass es sich lohnt - für jedes einzelne Leben, das wir verändern. Manchmal muss man die eigene Blase verlassen, um die Dinge wieder klarer zu sehen. Die Pause hat uns einen Perspektivwechsel ermöglicht, den wir in dieser dunklen Winterzeit dringend gebraucht haben.
Verfolge unsere Weiterreise gerne auf Instagram: @project.pedalforpaws.
Wir freuen uns auf Dich.
Xenia & Joscha
Unsere Fahrräder: Böttcher Expedition, Rohloff Speedhub 500/14
Ein kleiner numerischer Überblick:
- 13.250 km durch 18 Länder mit dem Fahrrad
- 2 Rohloff-Ölwechsel pro Rad
- 2 Ketten-und Reifenaustausch pro Rad
Weitere Informationen zu unserer Route und Ausrüstung findest du hier.