Georgien - Ein Schatz zwischen Europa und Asien - Pedal for Paws

Wir sind Xenia (33) und Joscha (32) und seit fast zwei Jahren mit dem Fahrrad auf Weltreise. Für den Tierschutz sind wir seit August 2022 über Umwege unterwegs nach Thailand. Dafür haben wir als blutige Anfänger den Bürostuhl in Berlin gegen den Fahrradsattel getauscht und über 12.000 Kilometer von Berlin über Istanbul, Saudi Arabien, Iran, Irak, Türkei und Georgien zurückgelegt. Nach unserer Winterpause in Deutschland geht es für uns im März 2024 zurück nach Georgien, wo unsere geliebten Drahtesel in der westlich gelegenen Stadt Zugdidi auf uns warten.

Unsere erste Workaway-Erfahrung

Vor Ort haben wir das große Bedürfnis, uns nützlich zu machen, das Land dabei intensiver kennenzulernen und uns weiterzuentwickeln. Über die Plattform workaway.info haben wir uns kurzfristig auf eine der relativ vielen Stellen beworben und hatten Glück. Eine Familie, die ein wunderschönes Grundstück mit Blick auf den Südkaukasus besitzt, sucht ganzjährig Freiwillige, die ihnen beim Bau eines zweiten Öko-Hauses helfen. Sie versichern uns, dass wir auch ohne große handwerkliche Fähigkeiten helfen könnten. Für Verpflegung und einen rudimentären Schlafplatz wäre gesorgt. Kein Problem für uns. Mit “rudimentär” kennen wir uns ja schon aus und wir haben ja auch alles, was wir zum Schlafen brauchen.

Also hin da. Und schöner hätten wir es uns kaum wünschen können. Auf der Baustelle gibt es viel zu tun und man hat uns gesagt, dass wir nicht viel falsch machen können. Ideale Bedingungen für uns, um so viel wie möglich zu lernen. Es ist unglaublich, wie viel man in nur 2 Wochen lernen kann. Jeden Tag fühlen wir uns sicherer im Umgang mit den Aufgaben, Materialien und Werkzeugen und freuen uns über (unsere) Fortschritte. Gleichzeitig werden wir hier kulinarisch verwöhnt! Dieser Alltag, die Arbeitsroutine, der phänomenale Ausblick, die süßen Hunde, und der viele Austausch mit anderen Volunteers, Tourist:innen sowie Familienmitgliedern tun uns gut. In der Zwischenzeit blüht Georgien vor unseren Augen geradezu auf.

Neben dem Hausbau und Tourismus betreibt die georgische Familie einige Teeplantagen. Viele Menschen wissen nicht, dass die subtropischen Hügel nahe der Schwarzmeerküste auch die Heimat einer einzigartigen Teekultur sind. Einst war Georgien sogar der viertgrößte Teeproduzent der Welt. Im 20. Jahrhundert füllte Georgien die Tassen der gesamten Sowjetunion, bis die Industrie 1991 mit der UdSSR zusammenbrach. Jahrzehntelang lag sie brach, doch nun gibt es Menschen, die sich um die Wiederbelebung der traditionellen Teekultur bemühen. Eine dieser Pionier:innen ist unsere Gastgeberin Lika Megreladze. Viele Generationen ihrer Familie arbeiteten vor dem Zusammenbruch der Branche im Teegeschäft. Schon vor der massenhaften Kommerzialisierung des Tees durch die Sowjets hatte Georgien sein Potenzial für den Teeanbau erkannt und erfolgreich umgesetzt. Zusammen mit einigen anderen Teehersteller:innen konzentriert sich Lika nun mit Hilfe biologischer Methoden auf Qualität statt Quantität - ganz anders als zu Sowjetzeiten, in denen die Massenproduktion im Vordergrund stand.

Insbesondere Likas Haus namens “Komli" ist zu einem Wahrzeichen geworden. Der Name ‘Komli' kommt von dem Wort 'Rauch', das in der georgischen Sprache ein Synonym für einen bewohnten Ort ist, ein Haus, in dem Menschen leben und in dem gekocht wird. Wenn man also Rauch aus dem Schornstein aufsteigen sieht, kann man eintreten und Gastfreundschaft erwarten. Hier erfährt man nicht nur etwas über den Teeanbau, sondern kann auch die verschiedenen Nuancen von weißem, grünem und schwarzem Tee schmecken. Bei einem Glas wertvollem Wein aus eigener Produktion erfährt man zudem etwas über die bewegte Geschichte der Familie, der Region und des Landes, bevor man sich in einem der riesigen rustikalen Weinfässer zur Ruhe begibt.

Wir genießen es, als Freiwillige diesen Ort zu erleben. Volunteering ist bereits seit über 10 Jahren Teil unseres Lebens. Irgendwie haben wir das Gefühl, dass Arbeit eine andere Qualität hat, wenn sie nicht monetär vergütet wird. Es erfüllt und bereichert eben auf eine ganz andere Art und Weise. Vielleicht weil wir hier ausschließlich intrinsisch motiviert sind. Und weil wir dabei anderen helfen können. Wir gehen hier voll auf und machen sehr gerne sowohl einfache und repetitive Aufgaben als auch neue herausfordernde Tätigkeiten, wie das Schleifen von Holz oder Arbeit mit Lehm. Jeden Tag haben wir richtig Bock, uns einzubringen, uns schmutzig zu machen, und vergessen dabei gerne mal die Zeit. Hier sind wir im Flow. Als wir nach drei Wochen weiter aufbrechen, mischen sich die Frühlingsgefühle mit schmerzlicher Wehmut. Dieser Ort hat uns geholfen, endlich in Georgien anzukommen und uns wieder auf unsere Reise zu freuen. Wir werden diesen Ort sehr vermissen.

“Wo wir auch hinschauen…, es ist einfach ein Augenschmaus.”

 

Für Fahrradbegeisterte bietet das übersichtliche Land Georgien ein riesiges Angebot an schwierigen und einfacheren Strecken durch atemberaubende Natur. Uns führt es durch die Regionen Guria, Imereti, Shida Kartli bis in die Hauptstadt Tbilissi (Tiflis). Schöner hätten wir uns unseren Start nach der Winterpause nicht vorstellen können. Abgesehen davon, dass die Natur um uns herum endlich in voller Blüte steht, freuen wir uns besonders über die vielen freundlichen Menschen, die uns von allen Seiten grüßen. Wie wir scheinen auch sie Frühlingsgefühle zu haben, denn spätestens bei unserem lauten Gruß “GORMAJOBA!” (georgisch für “Hallo”) lächeln uns wirklich alle an. Sie nicken freudig und antworten mit einem breiten Grinsen "Gormajoba!” Und in vielen Fällen können wir uns v.a. mit den älteren Menschen aufgrund gemeinsamer Sprachkenntnisse sogar fließend unterhalten.

So ist es auch mit Giorgi. Er freut sich, uns zu sehen und zögert keine Sekunde. Als wir uns gerade den Berg neben seinem Hof hochquälen, öffnet er seine Tore und ruft uns herein. Eigentlich sind wir noch keine Stunde auf dem Rad und haben noch viel vor. Doch Georgi versorgt uns mit hausgemachtem Schnaps, Wein sowie einigen Leckereien. Die Zeit verfliegt in Gesprächen über den Weinanbau und die Geschichte. Und irgendwann heißt es für uns weiterzuziehen.

Wo wir auch hinschauen, welche Abbiegung wir auch nehmen, es ist einfach ein Augenschmaus und perfekt zum Campen. Es ist diese Mischung aus flacher Ebene und schneebedeckten Gipfeln, grünen Wiesen und angenehm duftenden Blumen. Bis auf grasende Pferde, Schweine und Kühe sind wir ganz allein. Als wir unser Zelt aufbauen, ist die Temperatur auf angenehme 20 Grad gesunken. Die Sonne geht unter und taucht die Umgebung in neue Farben. Wir sind hier so glücklich wie schon lange nicht mehr. Langsam erinnern wir uns wieder an die Freuden, die wir in den letzten Jahren auf dieser Reise erlebt haben. Georgiens sommerlicher Frühling gibt uns einen enormen Motivationsschub.

Nachdem wir bereits durch Europa und Asien geradelt sind, fällt es uns schwer, Georgien einem dieser beiden Kontinente zuzuordnen. Es liegt irgendwo dazwischen und steht doch für sich allein. Wir finden, dass dieses Land in keine Kategorie passt - weder in Bezug auf die Landschaft noch auf die Kultur. Man kann hier irgendwie von allem ein bisschen haben - verbunden mit einem ganz eigenen kaukasischen Charme. Und das fasziniert.

Das Berlin von Georgien

Ende April erreichen wir schließlich die Hauptstadt Tbilissi. Dass wir uns ausgerechnet in diese Großstadt verlieben würden, hätten wir nicht erwartet. Es ist, als würden wir diesen Ort schon kennen. Vielleicht, weil uns hier vieles an Berlin erinnert. Es ist quasi ein georgisches Berlin: divers, international, mitreißend, jung, lebendig. Wir freuen uns einfach jeden Tag darauf, aufzubrechen und neue Ecken zu entdecken. Und wir werden nicht enttäuscht. Es wird einfach nicht langweilig. Stattdessen haben wir jeden Tag einen neuen Lieblingsplatz gefunden, den wir eifrig auf Google Maps markieren - für die Zukunft. Und wir haben das Glück, tollen Menschen zu begegnen. Sei es bei unseren Gastgebern, in den vielen coolen Cafés oder in der Bachata-Tanzschule. Es fühlt sich so an, als ob wir bereits eine Community aufbauen. Von Tag zu Tag fällt uns der Abschied ein wenig schwerer und so haben wir unseren Aufenthalt spontan ganze 5 mal (!) verlängert. Es ist einfach die perfekte Liaison zwischen uns.

Passüberquerung im Großen Kaukasus

Unsere Visa für das nächste Land kleben schon in unseren Pässen. Und ein Gebirge muss dafür überquert werden - der Große Kaukasus. Wir nehmen die “Ghalghaï Military Road” oder auch “Georgische Heerstraße”, die Georgien und Russland verbindet. Auf den Spuren von Händlern, Invasoren und vielen Reisenden wird diese Straße seit dem 18. Jahrhundert genutzt. Links von uns können wir nach einigen Tagen im Nebel den Riesen des Großen Kaukasus erahnen. Am letzten Tag unserer Passüberquerung im Großen Kaukasus bekommen wir ganz besonderen Support. Eine zuckersüße Hündin beschloss, uns trotz unseres Schneckentempos auf den letzten Kilometern hinauf zu begleiten. Mit der Zeit haben wir uns wirklich wie ein Team gefühlt, das gemeinsam alle Hindernisse meistert: Regen, Kälte, steile Straßen, schnelle Lastwagen, volle Tunnel. Sie wartet auf uns. Sie amüsiert uns. Sie motiviert uns. Deshalb taufen wir sie “Spirit”, denn sie ist für uns der Inbegriff von Teamgeist. Oben angekommen, scheint sie die Aussicht genauso zu genießen wie wir. Sie sitzt ruhig neben uns und schaut minutenlang ins Tal. Dann kuschelt sie sich an Joschas Bein. 

Dieses Verhalten von Straßenhunden fasziniert uns schon seit Jahren. Ob beim Wandern, dem Spaziergang in der Stadt oder beim Radeln - Hunde schließen sich dem Menschen instinktiv an. Sie werden zu deinen Partnern und lassen dich nicht allein. Sie wollen in deiner Nähe sein und warten auf dich, wenn es nötig ist. Es erfüllt sie einfach, in einer Gemeinschaft zu leben. Solche Momente zeigen uns immer wieder, dass der Hund zum Menschen gehört - und der Mensch zum Hund.

Nach 5 Monaten ist es Zeit, sich von Georgien zu lösen. Ein Land, nur etwa so groß wie Bayern, hat unsere Herzen nachhaltig erobert. Es ist eines der kleinsten Länder auf dieser Reise. Aber für uns ist es eigentlich eines der interessantesten Länder und das liegt vor allem daran, dass wir uns hier besonders viel Zeit genommen haben. Jeden Tag sind wir ein bisschen tiefer eingetaucht und haben neue interessante Details über diesen Teil des Kaukasus erfahren.

Dieses Land bietet einfach alles, was das Herz begehrt: atemberaubende Landschaften, interessante Kultur, bewegte Geschichte, mehrere Klimazonen, moderne Großstädte, gutes Essen, feine Menschen und traumhafte Routen zum Radfahren, Hiken und Campen. Hier kommt alles zusammen und wir haben nur einen Bruchteil davon gesehen. Und dafür sind wir dankbar. Der Abschied fällt uns nicht leicht, aber wir sind uns 100% sicher, dass wir wiederkommen werden. Denn es gibt jetzt auch viele Menschen, die wir wiedersehen wollen. Nakhvamdis, Georgien!

 

Verfolge unsere Weiterreise gerne auf Instagram: @project.pedalforpaws.


Wir freuen uns auf Dich.

 

Xenia & Joscha

 

Unsere Fahrräder: Böttcher Expedition, Rohloff Speedhub 500/14

 

Ein kleiner numerischer Überblick:
- 15.300 km durch 20 Länder mit dem Fahrrad

- 2 Rohloff-Ölwechsel pro Rad

- 2 Ketten-und Reifenwechsel pro Rad

 

Weitere Informationen zu unserer Route und Ausrüstung findest du hier.